Neues Deutschland, 02.02.2010 von Volkmar Draeger
Solo für Reptil
Christina Ciupke gehört, so jung sie ist, zu den Urgesteinen des zeitgenössischen Tanzes in Berlin. Gern erinnert man sich an ihre Stücke im Ballhaus Naunynstraße vor fast 20 Jahren – oft Soloabende, später dann mit verschiedenen Partnern. Besonders ihre Zusammenarbeit mit der Videofilmerin Gisela Dilchert fürs damalige Theater am Halleschen Ufer trug künstlerische Früchte: Wenn die Tänzerin zwischen Leinen mit hängenden Papierbahnen umherirrte, die ebenso wie ihr nackter Rücken Projektionsfläche für Bilder wurden, entstand aus Schichtungen eine Raumkomposition.
Nach weniger ergiebigen Recherchen aus letzter Zeit ist Ciupke mit ihrer neuen Produktion wieder bei sich und ihrem Thema angekommen: der Formsuche im eigenen Körper und im Zusammenklang mit einer Installation aus Video und Requisit. »From the other side« geht in den Sophiensaelen konsequent den Weg, wie ihn Ciupke und Lucy Cash als Konzept erdacht haben. Dass dem Zuschauer Freiheit für die eigene Assoziation bleibt, ist einer der Vorzüge dieses 75-Minuten-Solos.
Leer ist die Szene bis auf eine Front weißer Vorhänge auf der rechten Seite. Ventilatoren erzeugen eine flüchtige Dauerwellung des Stoffes, die dem Zufallsprinzip unterliegt. Schutzlos in Höschen und Leibchen stellt sich die Tänzerin vorn in die Raummitte, steht barfuß auf einem Bein, scheint vom Windzug ausgelenkt zu werden, betrachtet das Tasten des Spielbeinfußes, krümmt sich, um Balance zu halten, lagert das Gewicht aufs andere Bein. Flüchtig wie das Stoffwedeln sind die Bewegungen, einzig die gedehnte Drehung in Standwaage währt länger.
Als Geräusch hinzu tritt, sich wie eine zunehmend laute Last über die Tänzerin stülpt, geht der Tanz dynamischer in den Raum. Und es mischen sich Videobilder ein, Landschaft, Sonne, Tiere, Häuser, Stadt, schweifender Vogelzug – zu sehen erst auf einer, dann auf zwei Wänden. Bis fast auf Wandgröße vergrößern sich die winzigen Projektionen, rucken und zucken. Die Ballung aus Lärm und Bilderflut treibt die Tänzerin aus dem Raum. In der Stille lehnt sie an der Wand. Als erneut Videos einsetzen, wird sie lebender Teil des Films. In katzenhaften Übersetzern schreitet sie das Karree ab, tritt in Dialog mit projizierter Sprache.
»Keep on going« weist der Text an, erläutert, kommentiert die Aktion, etwa »She looks what is coming«, bittet »Trust me«, fragt »A better way of life?«. Eine Familie ist beim Picknick zu sehen, dann beim Wandern. Stevie Wonders »Superstition« bringt die Tänzerin zum Hüpfen, die Einblendung »Can’t sleep without you« wie beim Stummfilm fingiert einen Dialog mit unsichtbarem Partner. »Can’t smile without you« singen die Carpenters: Zum Protest gegen soviel Sentiment lächelt die Tänzerin übers ganze Gesicht, greift ihr Standwaage-Motiv auf, bis Lärm den Song zertrümmert. Die Wörter »in« und »out« lenken sie, bis sie nicht schnell genug reagieren kann und einfach im Raum bleibt, während das grafische Eis auf dem Wandbild schmilzt.
Die Tänzerin wird zum kriechenden Reptil, fällt in Rückenlage, erdrückt wohl von den Bildern, doch ohne rechten Zusammenhang zu ihnen. Reh, Elefantenrüssel, Berlinansichten überlagern sich in rascher Folge. Aus der Wanderskulptur steht die Tänzerin auf und geht ab. »Gone« kommentiert so lakonisch wie witzig die Schrift. Selten erlebte man Christina Ciupke so gelöst, mit so viel hintergründigem Humor. Selbst wenn sich nicht alle Rätsel lösen: ein erfreulicher Abend ist dies allemal.