„undo, redo and repeat“
Ein ungewöhnliches Tanzfonds-Erbe Projekt von und mit Christina Ciupke und Anna Till
Veröffentlicht am 08.06.2016, von Boris Michael Gruhl, tanzznetz.de
Ihre Art der Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen des Tanzes anhand von choreografischen Momenten, die in ihrer Auswahl alles andere als willkürlich, aber auch nicht immer tanzgeschichtlich ganz korrekt sein mögen, ist von besonderer Art. In ihrem Projekt haben sie sich mit choreografischem Material von Mary Wigman, Kurt Jooss, Dore Hoyer, Pina Bausch und William Forsythe beschäftigt. Dabei geht es nicht darum, in üblicher Weise historische Choreografien zu rekonstruieren, nachzutanzen. Es geht zunächst darum, die ausgewählten Protagonistinnen und Protagonisten der Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts mit den Augen von Zeitzeugen zu sehen. Dann werden Augenblicke dieser Schilderungen, Beschreibungen, Interpretationen oder Assoziationen zu eigenen Positionen, die wiederum in der Bewegung auf den Zuschauer zu und mit ihm, im mehrfachen Wechsel der Blickwinkel und Sichtachsen, zum Erleben des Augenblicks werden.
„undo, redo und repeat“, das ist ein Abend von verführerischer, subversiver Zärtlichkeit.
Dresdner Neueste Nachrichten, 14.10.2016
von Boris Gruhl
"wir wollen nicht wiederholen, wir möchten etwas wieder holen". Das Tanzprojekt der lebendigen Erinnerungen: "undo, redo and repeat" im Festspielhaus Hellerau.
[...] Wie Anna Till und Christina Ciupke ihre Bilder gefunden haben, wie sie den Kontext fanden, der sie und das Publikum bewegt, das ist nun in Hellerau zu erleben. Endlich, möchte man sagen, denn die Beziehung zum Festspielhaus, zu Dresden, zur Geschichte des Tanzes dieser Stadt, sind es wert, gerade an diesem Ort in so persönlichen wie lebendigen Erinnerungen gewürdigt zu werden.
Dresdner Neueste Nachrichten, 17. 10.2016
Vieles gewagt und manches gewonnen
"undo, redo and repeat" im Festspielhaus Hellerau
[...] Es ist übrigens möglich, sich vor oder gar noch während der Aufführung das umfangreiche Material anzuschauen, das an diesem Abend ergänzend zu einer begleitenden Ausstellung mit Video- und Hörbeispielen jedem Besucher mit auf den Weg gegeben wird. Wie überhaupt jeder Interessierte sich unbedingt auch die empfehlenswerte Website zu dieser von Tanzfonds Erbe geförderten Produktion anschauen sollte. Da reicht allein schon die Eingabe der beiden Namen, um diese zu finden.
tanz_Jahrbuch 2015
Aufführung des Jahres, Claudia Henne Berli, rbb Kultur
"Undo, redo and repeat" von Christina Ciupke und Anna Till: Tanzgeschichte komplex aufgearbeitet und virtuos dargestellt
tanzpresse.de, 12.4.2015
BLICK IN DEN RÜCKSPIEGEL
Wiederaufnahme: Christina Ciupke und Anna Till mit „undo, redo and repeat“ in den Sophiensælen
von Annette Jaensch
Schaut man in den Tanzkalender, begegnen einem immer wieder Exkurse in die Vergangenheit. Der Trend zur Rückblende ist nicht zuletzt auf den warmen Förderregen zurückzuführen, den die Kulturstiftung des Bundes mit dem Tanzfonds Erbe herniedergehen ließ. Mitte letzten Jahres wurde der 2011 eingerichtete Fonds um weitere vier Jahre verlängert, bis 2018 sollen zusätzliche zwei Millionen Euro fließen. Auffällig ist die Vielfalt, wie ein Blick auf die Projekt-Website beweist: Neben Bühnenstücken sind auch Filme, Installationen und Online-Projekte entstanden. Die werkgetreue Rekonstruktion, die starr am Original klebt, bildet da eher die Ausnahme. Vielmehr suchen die Akteure nach zeitgemäßen Formaten, mit denen sich die Brücke ins Jetzt schlagen lässt.
So wie Christina Ciupke und Anna Till, deren Stück „undo, redo und repeat“ im Mai 2014 in den Sophiensælen Premiere hatte und nun erneut gezeigt wird. Sie setzen sich darin mit dem Werk von fünf Ikonen der Tanzgeschichte auseinander: Mary Wigman, Kurt Jooss, Dore Hoyer, Pina Bausch und William Forsythe. Wie nähert man sich einem solchen Materialbrocken? Fast ein Jahr Arbeit stecke in dem Projekt, so Ciupke, die lachen muss, als sie sich an Archivbesuche erinnert. Nur mit einem Blatt Papier und Bleistift ausgestattet sein zu dürfen, habe die Recherche manchmal mühsam gemacht. Schnell war klar: Zeitzeugen und Weggefährten würden einen lebendigeren Zugang zum Tanzerbe ermöglichen. So holten sie sich die Wigman-Schülerin Irene Sieben, die Jooss-Mitstreiterin Reinhild Hoffmann, den Hoyer-Interpreten Martin Nachbar und den Forsythe-Tänzer Thomas Mc Manus ins Boot. Nach intensiven Interviews baten Ciupke und Till ihre Experten um eine physische Erinnerung, die sie gern weitergeben würden. „undo, redo and repeat“ macht transparent, wie das Choreografinnenduo sich das Material angeeignet hat.
Dass das Stück einer collagenhaften Zeitreise gleicht, zeigt sich schon zu Beginn. Irene Sieben etwa hatte für den Mary-Wigman-Teil angeregt, sich mit dem Bewegungsprinzip Kreisen zu befassen. Wie siamesische Zwillinge schreiben die Tänzerinnen Kurven in den Raum, lassen sich von der weichen Formenstrenge immer weitertragen. Wie leicht oder schwer fällt es zeitgenössisch ausgebildeten Tänzern eigentlich, historisches Bewegungsvokabular zu reanimieren? „Stellenweise war das eine wahre Herausforderung“, gibt Ciupke insbesondere mit Blick auf den Ausdruckstanz zu. „Vom Brustbein geht viel Präsenz aus. Irgendwann denkt man, man müsste eigentlich andere Körper dafür haben. Auch sehr gewöhnungsbedürftig ist die Form des Schreitens, die mit halbgebeugten Beinen stattfindet.“
Im Verlauf des Stückes stoßen die Performerinnen noch weitere Fenster auf: In der Choreografie „Vor Ort“ von Reinhild Hoffmann aus dem Jahr 1997 steckt viel vom Einfluss des Folkwang-Mitbegründers Kurt Jooss. Zur Musik von John Cage beginnen die Tänzerinnen einen abgezirkelten Kreidekreis zu bespielen, achtsame Bewusstheit zueinander und zum Raum ausstrahlend. Immer wieder straffen sich die Silhouetten und verharren für einen Moment in puppenhafter Starre, bevor sie eine neue Richtung einschlagen. Phrasierung, Feinarbeit, Bedeutung von Pausen, das sei ungeheuer wichtig, wenn es um die Qualität von Bewegung gehe, so Reinhild Hoffmann am Premierenabend. Das habe sie vor allem auch bei Jooss mitbekommen.
Ciupke und Till kosten in „undo, redo und repeat“ außerdem noch von der dunklen Ekstase der Ausdruckstänzerin Dore Hoyer, lassen Erinnerungszitate an Pina Bausch mit einer in Stöckelschuhen getanzten Bewegungsminiatur zusammenfließen und statten schließlich noch dem Forsythe ́schen Improvisationskosmos ein Besuch ab. Und was hat die Exkursion ins Tanzerbe bei den Performerinnen bewirkt? „Mir ist bewusster geworden, aus wie vielen Einflüssen ich selbst zusammengesetzt bin“, so bringt Ciupke es auf den Punkt. Dank der Abstraktion und dem sensiblen Spiel mit den Vorgaben vermittelt sich der Reiz dieser Art Rückschau mühelos.
tanz_Dezember 2014
Christina Ciupke und Anna Till "undo, redo and repeat"
von Sabine Huschka
Wie kann historisches Tanzwissen als Aufführungsmaterial funktionieren? Lässt sich seine unbeständige, weil im Körperlichen wurzelnde historische Quelle überhaupt richtig erschließen? Die Produktion „undo, redo and repeat“ von Christina Ciupke und Anna Till geht mit diesen Fragen zum Thema Tanzerbe um.
Die Produktion verwandelt die Tatsache, dass ein Tanzerbe ohne Zeitzeugen nicht zu haben ist, in eine fulminante choreografische Reflexion über die Aneignung dieses Wissens. Die Choreografinnen haben Zeitzeugen interviewt und während einer gemeinsamen Probenphase deren Körperwissen und Erinnerungen an fünf ästhetische Positionen deutscher Tanzgeschichte zusammengetragen.
In fünf Szenen, die in einem offenen Raum spielen, entfalten sich bewegungsästhetische Formationen moderner und postmoderner Körperphilosophien.
Insgesamt gelingt in 70 Minuten eine komplexe Erinnerungsarbeit von Ciupke und Till - die Tanzgeschichte Deutschlands näher bringt.
tanz, Jahrbuch 2014, Seite 42-45/153
von Susanne Foellmer
[…] Anstatt in die Klage eins solchen Verlusts einzustimmen, loten zeitgenössische Choreografen jedoch vielmehr die Möglichkeiten des Übermittelns und Zeugnis-Gebens aus. So, zum Beispiel Christina Ciupke und Anna Till, die sich für den Begriff des ”Un- und Re-doings” entscheiden. In ihrem Projekt ”undo, redo and repeat” verzichten sie zunächst gänzlich auf einen dokumentarischen Ansatz, der über materielle Fragmente ein Ereignis wiederzuholen versucht.
Stattdessen zielen sie auf die Weisen des Wieder-Hervorbringens selbst ab, indem sie für einen sehr breit angelegten Zugang zu (teils noch lebenden) Künstlern und Künstlerinnen wie Reinhild Hoffmann, William Forsythe, Mary Wigman und Pina Bausch optieren. Dabei geht es nicht unbedingt um die Wieder-Holung eines sogenannten prägenden Bühnenereignisses aus der Tanzgeschichte, sondern um die jeweiligen Herangehensweisen selbst: um choreographische
Prinzipien, Körpertechniken, Modi des Komponierens. Mit dem Prozedere des Aufgabenstellens - das mit den ”Task-orientierten Methoden etwas Trisha Browns wiederum aus der jüngeren Tanzhistorie stammt - übernehmen Ciupke und Till Bewegungs-und Kompositionspraxen, die sie auf die eigenen, zeitgenössisch informierten Körper zu übertragen
versuchen. Das Experiment des Wieder-Holens, das sich hier im dritten Begriff des Projektes, dem ”repeat”, wiederspiegelt, entbirgt dabei eine weitere andere Seite des Rekonstruktiven: die Erlaubnis zum Scheitern. Etwa in den Un/Möglichkeiten, den eigenen, anders trainierten Körper und die Spannungs-und Flussverhältnisse Wigman’scher Praktiken anzunähern.
Statt lexikalischer Regelhaftigkeit zeigen sich mithin im jeweiligen Gebrauch der Begriffe und Methoden die zeitgenössischen Potenziale des Umgangs mit der Bühnentanzvergangenheit: In kritisch-inhaltlichen Zugängen ebenso wie in der Reflexion und Adaption der Verfahren und Praktiken selbst, die sich - konsequent singulär gedacht – einer methodischen Ordnung verweigern.
Choreografie für die Nachwelt
Der Heidelberger Kunstverein widmet sich in einer bemerkenswerten Ausstellung dem Thema Tanz
von Milan Chlumsky
Keine andere Kunstsparte lebt von so ephemeren Eindrücken wie der Tanz: Denn neben Musik ist es vor allem die Bewegung und die Choreografie, die im Laufe verschiedener Vorführungen unmerkliche Veränderungen aufweisen kann. Die Lithografie des 18. Jahrhunderts konnte keine genauen Aufzeichnungen liefern, die Fotografie des 19 Jahrhunderts ebenso wenig. Erst als die Emulsionsempfindlichkeit der Filme ausreichend war, konnte eine Choreografie bis ins Detail verfolgt werden - dennoch sind große Teile des ,,tänzerischen Erbes" unwiderruflich verloren. Es gibt zahlreiche Versuche, es anhand des vorhandenen Materials wenigstens teilweise zu erhalten.
Auf der Empore des Heidelberger Kunstvereins zeichnen Christina Ciupke und Anna Till Wege nach, auf denen das Wissen über so komplexe Vorgänge wie Tanz, Bewegung, Choreografie (und letztendlich auch die Aura herausragender Tänzer und Choreografen) bewahrt wird und auch für die kommenden Generationen lebendig bleiben kann.
Tagesspiegel, 10.5.2014
Tanzen fürs Erbe
von Sandra Luzina
Berliner Choreografen beschäftigen sich derzeit intensiv mit der deutschen Tanzgeschichte. Das hat auch mit der Kulturstiftung des Bundes zu tun, die 2011 den Tanzfonds Erbe gründete. 3,5 Millionen Euro standen zur Verfügung, damit wurden bundesweit 32 Projekte finanziert.
Neue Produktionen zeigen unterschiedliche Strategien, sich dem Tanzerbe zu nähern. Am überzeugendsten sind Christina Ciupke und Anna Till, die sich in "undo, redo and repeat" gleich mit fünf künstlerischen Positionen auseinandersetzen, auch mit Hilde der Mary-Wigman-Schülerin Irene Sieben oder der Choreografin Reinhild Hoffmann, die bei kurt Joos studiert hat. Diese Zeitzeugen haben Ciuke und Till Zugang zu verschiedenen Ästhetiken ermöglicht.
Ciupke und Till haben Fragmente erarbeitet - wie sie diese Moaiksteine in Beziehung setzen, ist erhellend. Zudem zeit "undo, redo and repeat", wie kluge künstlerische Aneignung funktioniert.